Wie dunkel wird es, wenn der Strom knapp wird?
Interview zur Situation von STOLL, der Business Unit für Flachstrickmaschinen der KARL MAYER GROUP
Steigende Energiekosten, Störungen in der Lieferkette, Fachkräftemangel, Lockdowns und ein Krieg mitten in Europa – die Probleme unserer Zeit sind komplex und führen viele Unternehmen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Eine Blitzumfrage des Bundesverbands der Deutschen Industrie e. V. (BDI) vom September 2022 zeigt: 58 % der 600 befragten mittelständischen Unternehmen sehen in den Preissteigerungen bei Energie und Rohstoffen eine starke und 34 % sogar eine existenzielle Herausforderung. Lieferschwierigkeiten und -verzögerungen waren für rund drei Viertel der Teilnehmer an der BDI-Erhebung eine starke oder existenzielle Herausforderung. Angesichts der deutlichen Preissteigerungen schieben ca. 40 % der Unternehmen Investitionen in die ökologische und digitale Transformation auf.1
Wie sieht die Lage speziell im Textilmaschinenbau aus? Kommen hier die Probleme ähnlich stark zum Tragen? Dieser und weiteren Fragen ging my TEXTILE NEWS-Redakteurin Ulrike Schlenker nach und befragte Andreas Schellhammer, President der Business Unit STOLL der KARL MAYER GROUP und damit verantwortlich für das Flachstrickmaschinengeschäft des Global Players.
US: Die hohen Stromkosten bereiten den Unternehmen weltweit Sorgen. Inwieweit sind Sie an Ihrem Standort in Reutlingen davon betroffen? Sind Auswirkungen auf die Preisentwicklung Ihrer Maschinen zu erwarten?
AS: Wir haben zwar keine besonders energieintensive Produktion, aber natürlich belasten auch uns die in letzter Zeit sprunghaft gestiegenen Energiekosten außerordentlich. In diesem Zusammenhang dürfen wir nicht nur von den Strom-, sondern müssen auch von den Öl- und insbesondere Gaspreisen reden. Darüber hinaus sind auch die Beschaffungskosten für bestimmte Bauteile und Komponenten teilweise irrational gestiegen, sodass in Summe ein erheblicher Druck auf unseren Herstellkosten lastet. Wir arbeiten intensiv daran, die Auswirkungen dieser Kostenexplosionen abzumindern, werden aber dennoch nicht um Preisanpassungen herumkommen.
US: Bleiben wir bei dem Thema Beschaffung. Im Frühjahr dieses Jahres legte ein Mega-Lockdown den größten Containerhafen in Schanghai lahm, weltweit brachen die Lieferketten zusammen. Seitdem reißen die Probleme mit der Liefersicherheit nicht ab. Wie gehen Sie mit diesem Thema um?
AS: Viele dieser Entwicklungen waren ja bereits seit Ausbruch der COVID-Pandemie zu erkennen, sodass wir schon vor einiger Zeit Risikovorsorge in der Lieferkette getroffen haben. Zusätzlich dazu arbeiten wir insbesondere im Elektronikbereich kontinuierlich am Re-Design von Baugruppen, um der Verfügbarkeit von Bauteilen Rechnung zu tragen. Dadurch konnten wir bisher unsere Lieferfähigkeit weitestgehend sicherstellen.
US: Angesichts der Lieferketten- und Logistikprobleme setzen viele Brands auf Unabhängigkeit und kurze Wege beim Sourcing. Wirkt sich dieser Wechsel bei der Einkaufsstrategie auch auf Ihre Kunden aus? Beobachten Sie beispielsweise eine Rückverlagerung der Standorte von Asien nach Europa oder Amerika?
AS: Es gibt vereinzelt sehr spannende Initiativen, um marktnahe Produktion aufzubauen, jedoch würde ich noch nicht von einer Rückverlagerung im großen Stil sprechen. Allerdings ist schon erkennbar, dass die Kunden unserer Kunden teilweise ihre Einkaufsprioritäten ändern und ihr Beschaffungsvolumen risikobewusster streuen, wodurch zum Beispiel die Türkei als nahe gelegener Textilstandort deutlich profitiert hat.
US: Der heiße Sommer hat uns einmal mehr gezeigt: Der Klimawandel ist schon jetzt Realität und nachhaltiges Wirtschaften wichtiger als je zuvor. Welche Lösungen bieten Sie Ihren Kunden, damit sie ihren ökologischen Fußabdruck verringern können?
AS: In der Tat ist uns in den letzten Jahren zum Teil sehr drastisch bewusst geworden, wie wichtig der achtsame Umgang mit den Ressourcen unseres Planeten ist. Dabei fällt dann schnell der Begriff „Nachhaltigkeit“ und noch schneller ist man beim Energieverbrauch unserer Maschinen angelangt. Das ist zweifellos wichtig, aber ich denke, dass wir den Bogen deutlich weiter spannen sollten. Aus meiner Sicht werden alte Tugenden des deutschen Maschinenbaus wie Langlebigkeit und Qualität wieder an Bedeutung gewinnen. Die nachhaltigste Maschine ist diejenige, die möglichst viele Jahre mit gutem Wirkungsgrad betrieben wird. Dazu muss sie wartungs- und servicefreundlich und idealerweise auch einfach zu modernisieren sein. Mit solchen Upgrade-Angeboten helfen wir unseren Kunden diesbezüglich deutlich weiter. Darüber hinaus ist die Flachstrickerei vom Prinzip her schon eine sehr nachhaltige Art, Textilien zu produzieren. Unsere Kunden können genau die textilen 3D-Formen herstellen, die sie für ihre Produkte benötigen, und vermeiden dadurch Verschnitt und Abfall.
US: Für die Entwicklung dieser und anderer innovativer Textilien haben Sie in den vergangenen Jahren umfangreich in neue Kapazitäten investiert: 2020 in ein hochmodernes Entwicklungszentrum, folgend in ein neues Kundenzentrum. Das Kundenzentrum wurde erst im Frühjahr dieses Jahres eröffnet. Was bieten Sie Ihren Kunden hier und wie werden die Angebote angenommen?
AS: Wir nutzen unser neues Kundenzentrum mittlerweile intensiv als Drehscheibe für Innovationen im Flachstrickbereich. Dazu werden Schulungen und Workshops angeboten oder auch gemeinsame Entwicklungsprojekte mit Kunden und Partnern bearbeitet. Das aktuell große Interesse an solchen Themen zeigt uns, wie sehr seit Anfang der COVID-Pandemie der persönliche Austausch vermisst wurde.
Hier geht es zu den Kernergebnissen der BDI-Blitzumfrage: https://bdi.eu/#/artikel/news/lagebild-im-industriellen-mittelstand/
1 BDI: Lagebild im industriellen Mittelstand, Information, Mittelstandspolitik, Umfrage, 06.09.2022.